OLG Braunschweig, Urt. v. 29.11.2017 – 11 U 59/17 |
Sachverhalt |
Vor der Geburt ihrer Tochter D am 2013 arbeitete die Kl. bei der A. GmbH in L. und erzielte ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1987,83 Euro. Sie beabsichtigte, ihre dortige Tätigkeit am 1.8.2014 wieder aufzunehmen, während ihrem Ehemann Elternzeit bis zum 9.9.2014 bewilligt worden war. Die Kl. und ihr Ehemann bewarben sich Ende des Jahres 2013 für ihre Tochter um einen Platz in der Kindertagesstätte in N.-H. ab August 2014. Mit Schreiben vom 13.3.2014 teilte ihnen der Flecken N.-H. mit, dass das zentrale Aufnahmeverfahren zum 1.8.2014 abgeschlossen sei und er ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine Zusage über eine Aufnahme gegeben werden könne. Zudem wies der Flecken N.-H. die Kl. und ihren Ehemann darauf hin, dass die Kinderbetreuung grundsätzlich auch über Plätze in der Kindertagespflege, durch sog Kindertagesmütter, erfolgen könne. Für nähere Informationen verwies der Flecken die Kl. und ihren Ehemann an den Bekl. Daraufhin nahm die Kl. am 1.4.2014 erstmals Kontakt zum Bekl. auf und erkundigte sich nach Tagespflegepersonen im Bereich N.-H. bzw. einem Platz in einer Kindertagesstätte. Mit E-Mail vom 3.4.2014 benannte die beim Bekl. für Kinderbetreuung zuständige Mitarbeiterin Frau R der Kl. drei Tagespflegepersonen in H. und G. und empfahl ihr, auch im Familien- und Kinderservice des Landkreises G. bzw. in der dortigen Online-Vermittlungsbörse nach Tagespflegepersonen zu suchen. Die Kl. schloss am 26.6.2014 einen Betreuungsvertrag mit der Kindertagespflegeperson Frau K in B. Die Tagespflege sollte am 9.9.2014 beginnen, montags bis freitags von 8:30 Uhr bis 15:00 Uhr erfolgen und voraussichtlich am 9.9.2015 enden. Im Hinblick auf die ursprünglich von der Kl. und ihrem Ehemann begehrte Betreuung ab dem 1.8.2014 wies Frau K beide darauf hin, dass zwei weitere Tagesmütter noch Plätze frei hätten. Am 5.7.2014 beantragten die Kl. und ihr Ehemann beim Bekl. für ihre Tochter Kindertagespflege ab dem 9.9.2014 und führten zur Begründung aus, dass sie während der Betreuungszeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen würden. Mit Bescheid vom 22.8.2014 gewährte der Bekl. Frau K nach § 23 SGB VIII iVm § 6 und der Anlage 1 der Satzung des Landkreises N. über die Förderung von Kindern in der Kindertagespflege und die Erhebung von Kostenbeiträgen für die Kindertagespflege in der derzeit gültigen Fassung die laufende Geldleistung für das oben genannte Kindestagepflegeverhältnis mit der durchschnittlichen monatlichen Betreuungszeit von 140,73 Stunden für die Zeit vom 9.9.2014 bis zum 31.8.2015. Anfang September 2014 wurde der Kl. und ihrem Ehemann ein Krippen-Platz für ihre Tochter im Kindergarten in B. ab dem 6.10.2014 angeboten. Die Kl. und ihr Ehemann nahmen den Krippen-Platz in Anspruch und teilten Frau K mit, dass keine Tagespflege mehr gewünscht werde. Der Bekl. hob daraufhin am 24.9.2014 den Bewilligungsbescheid vom 22.8.2014 auf. Die Kl. hat erstinstanzlich behauptet, dass bei zwei der in der E-Mail vom 3.4.2014 genannten Tagespflegepersonen keine Betreuungsplätze zum 1.8.2014 mehr frei gewesen seien und die dritte Person offenbar noch keine Zulassung zur selbstständigen Durchführung von Tagespflege gehabt habe. Die Eingewöhnungszeit der Tochter der Kl. in der Kinderkrippe habe bis zum 7.11.2014 gedauert, so dass sie ihre Arbeit erst ab dem 1.12.2014 wieder habe aufnehmen können. Die Kl. ist der Ansicht, dass der Bekl. seine Amtspflichten dadurch verletzt habe, dass er ihrer Tochter nicht unmittelbar nach der Vollendung des ersten Lebensjahres, sondern erst zum 6.10.2014 einen Kindergarten-Platz zur Verfügung gestellt habe, so dass sie ihre Elternzeit habe verlängern müssen. Sie macht diesbezüglich einen Verdienstausfallschaden für vier Monate – August bis November 2014 – unter Zugrundelegung ihres letzten durchschnittlichen Nettomonatsgehalts iHv insgesamt 7951,32 Euro geltend. Die Kl. hat erstinstanzlich beantragt, den Bekl. zu verurteilen, an sie 7951,32 Euro nebst Zinsen sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten iHv 571,44 Euro zu zahlen.
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Entscheidungsgründe |
1. Die Kl. hat gegen den Bekl. keinen Anspruch auf Ersatz eines Verdienstausfallschadens für die Monate August bis November 2014 iHv 7951,32 Euro aus § 839 I BGB iVm Art. 34 GG. a) Das LG hat im Ergebnis zutreffend das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung verneint. Gemäß § 24 II 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Hieraus erwächst für den örtlich und sachlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe die (Amts-)Pflicht, im Rahmen seiner die Planungsverantwortung umfassenden Gesamtverantwortung sicherzustellen, dass für jedes anspruchsberechtigte Kind, für das ein entsprechender Bedarf rechtzeitig angemeldet worden ist, ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht; insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371 Rn. 17). Diese Pflicht kann der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe dadurch erfüllen, dass er einen (zumutbaren) Platz entweder in einer Tageseinrichtung oder in Rahmen der Kindertagespflege zuweist (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371 Rn. 18). Beide Alternativen stehen prinzipiell gleichrangig nebeneinander; dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 24 II 1 SGB VIII und einem Vergleich mit der Regelung in § 24 III 1 SGB VIII (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371). Der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe verletzt seine Amtspflicht, wenn er einem gem. § 24 II SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371 Rn. 19). In den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht fällt dabei auch der Verdienstausfallschaden, den Eltern dadurch erleiden, dass ihr Kind entgegen § 24 II SGB VIII keinen Betreuungsplatz erhält (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371 Rn. 33). (1) Zwar konnte nach der Mitteilung des Fleckens N.-H. vom 13.3.2014 keine Zusage für die Aufnahme der Tochter der Kl. in eine der dortigen Kindertagesstätten erteilt werden; der Bekl. muss sich diese Erklärung zurechnen lassen, weil der Flecken N.-H. im Einvernehmen mit dem Bekl. als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung über die Wahrnehmung von Aufgaben nach dem SGB VIII die entsprechenden Aufgaben der Jugendhilfe wahrnimmt. Allerdings hat der Bekl. über seine Mitarbeiterin Frau R der Kl. per E-Mail vom 3.4.2014 drei Tagespflegepersonen vorgeschlagen, von denen zumindest eine nach dem unstreitigen erstinstanzlichen Vortrag der Kl. auch Betreuungsplätze ab dem 1.8.2014 hatte. Die Kl. hat auf S. 4 des Schriftsatzes vom 13.7.2015 ausgeführt: „Abgesehen davon, dass die Benennung möglicher Tagespflegepersonen nicht ausreichend ist […], verhält es sich so, dass bei zweien der drei genannten Tagespflegepersonen keine Betreuungsplätze zum 1.8.2014 mehr frei waren, die dritte Person offenbar noch keine Zulassung zur selbstständigen Durchführung von Tagespflege hatte.“ Dieser Vortrag kann nur so verstanden werden, dass die dritte Person zwar über freie Kapazitäten, aber noch nicht über die erforderliche Zulassung verfügt habe. Letzteres hat der Bekl. bestritten, ohne dass die Kl. für ihre Behauptung einen Beweis angeboten hat. Soweit die Kl. nunmehr zweitinstanzlich erstmals mit Schriftsatz vom 24.10.2017 und erneut im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.11.2017 behauptet hat, dass auch bei dieser Person kein Platz frei gewesen sei, ist dieser Vortrag nach § 531 II Nr. 3 ZPO verspätet. Die Kl. hat nicht vorgetragen, weshalb ein entsprechender Vortrag nicht bereits erstinstanzlich gehalten worden ist. Es ist auch nicht feststellbar, dass die Enfernung zu diesen Tagespflegepersonen unzumutbar gewesen wäre. Es wird insoweit auf die Ausführungen des Bekl. in der Klageerwiderung vom 27.5.2015 verwiesen, denen die Kl. nicht entgegengetreten ist. (2) Die Kl. kann auch nicht damit gehört werden, dass ein Anspruch auf Zuweisung eines Krippenplatzes infolge des von den Erziehungsberechtigten ausgeübten Wahlrechts bestanden hätte, den der Bekl. verletzt habe. Das Wahl- und Wunschrecht nach § 5 SGB VIII ist zwar auf den in § 24 II 1 SGB VIII geregelten Anspruch ein- und zweijähriger Kinder auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege uneingeschränkt anwendbar (vgl. OVG Lüneburg, NJW 2015, 651 Ls. 1 = BeckRS 2014, 57001). Dieses findet jedoch seine Grenze, wenn keine Plätze in der gewünschten Betreuungsform (mehr) vorhanden oder verfügbar sind (vgl. OVG Lüneburg, NJW 2015, 651 Ls. 1 = BeckRS 2014, 57001). Im vorliegenden Fall stand unstreitig kein Krippen-Platz ab dem 1.8.2014 zur Verfügung, so dass die Kl. und ihr Ehemann ihr Wahlrecht nicht dahingehend ausüben konnten, dass ihre Tochter in einer Tageseinrichtung untergebracht werden sollte. b) Selbst wenn jedoch von einer Amtspflichtverletzung ausgegangen werden müsste, wäre ein Schadensersatzanspruch der Kl. aufgrund ihres eigenen Mitverschuldens am angeblich eingetretenen Schaden ausgeschlossen. Die Kl. und ihr Ehemann haben unstreitig selbst eine Tagespflegeperson ausfindig gemacht und mit dieser die Betreuung ihrer Tochter ab dem 9.9.2014 vereinbart. Zwar stellt die Selbstbeschaffung eines Betreuungsplatzes im Vergleich zur Erlangung eines solchen Platzes im Wege des Verschaffungsanspruchs aus § 24 II SGB VIII nicht die Erfüllung dieses Anspruchs dar (vgl. VGH Mannheim, NWB 2017, 777 Ls. = BeckRS 2016, 111216). Der Primäranspruch wandelt sich vielmehr unter den Voraussetzungen analog § 36 a III SGB VIII in einen Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz um (vgl. VGH Mannheim, NWB 2017, 777 Ls. = BeckRS 2016, 111216 Rn. 47). Allerdings verstößt die Aufgabe des Betreuungsplatzes bei der Tagespflegeperson Frau K gegen die Schadensminderungspflicht der Kl. gem. § 254 BGB. Der Geschädigte ist nach § 254 BGB gehalten, seinen Schaden möglichst gering zu halten (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2016 – III ZR 302/15, BeckRS 2016, 19371 Rn. 36). Hätte die Kl. den Betreuungsvertrag mit Frau K nicht vor dem 6.10.2014 gekündigt, hätte ihre Tochter dort unstreitig betreut werden können. Indem sie den Betreuungsvertrag vorzeitig gekündigt hat, hat sie somit gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Die Kl. kann sich diesbezüglich nicht darauf berufen, dass ihrer Tochter der Wechsel von Frau K in die Krippe nicht zumutbar gewesen wäre. Zwar sollte einem Kind der Aufbau einer neuen Beziehung verbunden mit einem Wechsel der Betreuungsperson nicht allzu oft zugemutet werden. Indes lässt sich dies aufgrund der Wechselfälle des Lebens, zB dem Ausscheiden der Betreuungsperson aus dem Berufsleben in Folge Heirat, Schwangerschaft, Weiterbildung, Krankheit oder Erreichen der Altersgrenze oder einer Wohnsitzverlagerung der Eltern, nie ganz vermeiden, so dass von einer generellen Unzumutbarkeit nicht ausgegangen werden kann (vgl. VGH München, NJW 2016, 1340 Ls. = BeckRS 2016, 41519; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2014, 884 Ls. = BeckRS 2014, 53254). Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall gegen einen solchen Wechsel sprechen könnten, sind nicht vorgetragen worden. Die Kl. hätte somit durch Beibehaltung der Betreuung einen Verdienstausfall für die Zeit vom 9.9.2014 bis zum 5.10.2014 vermeiden können. Soweit die Kl. auf die Mehrkosten infolge der Inanspruchnahme von Frau K verweist, ist zu beachten, dass insoweit ggf. ein Erstattungsanspruch des Kindes gem. § 36 a SGB VIII in Betracht gekommen wäre. Für den Zeitraum vom 1.8.2014–9.9.2014 hätten die Kl. und ihr Ehemann unstreitig auf eine andere von Frau K empfohlene Tagespflegeperson zurückgreifen können. Auch dies wäre ihrer Tochter nach den vorstehenden Ausführungen zumutbar gewesen. Soweit die Kl. sich auf eine Eingewöhnungszeit beruft, ist eine solche in § 24 SGB VIII nicht vorgesehen. Die Kl. hat daher keinen Anspruch darauf, dass ihr eine solche eingeräumt wird. Das Mitverschulden der Kl. überwiegt ein etwaiges Verschulden des Bekl. derart, dass ein Schadensersatzanspruch auch aus diesem Grund – unabhängig davon, ob eine Amtspflichtverletzung vorliegt – ausgeschlossen ist. Die Kl. hat ohne Not von einer entsprechenden Betreuung ihrer Tochter abgesehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kl. die Tagespflegeperson Frau K persönlich ausgesucht und als geeignet für die Betreuung ihrer Tochter befunden hat. Zudem hat die Kl. den Bekl. nicht darauf hingewiesen, dass sie in Folge der Kündigung des Vertrags mit Frau K ihren Arbeitsplatz noch nicht wieder antreten werde, so dass dieser keine Gelegenheit hatte, sich um eine anderweitige Betreuungsmöglichkeit zu kümmern.
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Leitsätze |
1. Eine Beschränkung des Wahlrechts iSd § 5 SGB VIII zwischen der frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung und einer Kindertagespflege iSd § 24 SGB VIII stellt keine Amtspflichtverletzung dar, wenn zwar keine Betreuungsplätze mehr in der gewünschten Betreuungsform, aber in der alternativen Betreuungsform verfügbar sind. 2. Die vorzeitige Kündigung eines bereits vorhandenen und geeigneten Betreuungsplatzes stellt einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht iSd § 254 BGB dar, wenn das Kind aufgrund dessen zunächst keine frühkindliche Förderung erhält. Ein Wechsel der Betreuungsform ist nicht generell unzumutbar. Eine Eingewöhnungszeit des Kindes ist in § 24 SGB VIII nicht vorgesehen. |