OLG Dresden, Urteil vom 18.4.2018 – 1 U 1509/17 |
Sachverhalt |
Der Kl. macht aus eigenem und abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche geltend, weil die mit Verfügung vom 31.3.2016 angeordnete Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 7.4.2016 seinen Prozessbevollmächtigten erst am Terminstag erreichte, nachdem er von Hamburg nach Dresden angereist war. Zunächst hatte der Kl. vor dem LG Dresden die Feststellung des Vorliegens einer Amtspflichtverletzung begehrt. Das LG Dresden (Urt. v. 22.9.2017 – 5 O 1176/16, BeckRS 2017, 146745) lehnte die Feststellungsklage unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs der Leistungsklage als unzulässig ab. Die Berufung hatte nur zum geringen Teil Erfolg.
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Entscheidungsgründe |
1. Dem Kl. steht aus § 839 I BGB iVm Art. 34 GG ein Anspruch zu, dass er vom Bekl. bezüglich der seinen Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Terminswahrnehmung am 7.4.2016 entstandenen Reisekosten in Höhe von 289,50 Euro und deren Anspruch auf Tagesgeldpauschale gemäß Anlage 1 Nr. 7005 VV-RVG iHv 70 Euro freigestellt wird.
Amtspflichtverletzung: Die Geschäftsstellenbedienstete hat die ihr sowohl dem Kl. als auch dessen Prozessbevollmächtigten gegenüberliegende Amtspflichtverletzung verletzt, weil sie die Prozessbevollmächtigten des Kl. nicht über die am 31.3.2016 verfügte und am 4.4.2016 auf dem Postweg verschickte Terminsaufhebung vorab telefonisch oder per Telefax unterrichtete. Grundsätzlich hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen, dass den Verfahrensbeteiligten die Abladungsnachricht so rechtzeitig zugeht, dass sie davon noch vor der Anreise zum Termin Kenntnis nehmen können (LG Stuttgart, NJW-RR 1989, 190; LG Hannover, NdsRpfl 1993, 192). a) Da die Geschäftsstellenbedienstete aus der Akte erkennen konnte, dass der Prozessbevollmächtigte in Hamburg ansässig war und sie deswegen damit rechnen musste, dass dieser, um rechtzeitig den Termin wahrnehmen zu können, spätestens am frühen Morgen des 7.4.2016 seine Reise aus Hamburg beginnen musste, hätte sie berücksichtigen müssen, dass die Abladung spätestens am 6.4.2016 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kl. eingehen musste. Unter diesen Umständen durfte die Geschäftsstellenbedienstete des LG nicht davon ausgehen, dass eine am 4.4.2016 auf dem Postweg versandte Mitteilung über die Terminsaufhebung die Prozessbevollmächtigten des Kl. auf jeden Fall am 6.4.2016 erreicht, zumal bei einer Abverfügung am 4.4.2016 nicht ohne Weiteres sichergestellt war, dass das Schreiben dem Postzustelldienst am selben Tag zuging. Die Geschäftsstellenbedienstete wäre daher verpflichtet gewesen, die Prozessbevollmächtigten der Bekl. vorab über die Terminsaufhebung durch Telefax oder telefonischen Anruf zu unterrichten. Gegen diese Verpflichtung hat sie verstoßen. b) Letztlich sieht das der Bekl. ebenso. So hat der Präsident des OLG, der gemäß I 1 Buchst. b und I 2 Buchst. b VwV Amtshaftung, Entschädigung und Regress zur außergerichtlichen Entscheidung über Ansprüche aus Amtshaftung für Schäden, die durch seine Bediensteten verursacht sind, zuständig ist, mit Schreiben vom 7.7.2016 mitgeteilt, dass die Reise der Prozessbevollmächtigten auf einer Amtspflichtverletzung beruhe, da die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle diese nicht vorab telefonisch oder per Telefax von der Aufhebung des Termins unterrichtete. Auch im vorliegenden Rechtsstreit stellt der Bekl. nicht in Abrede, dass die Geschäftsstellenbedienstete objektiv amtspflichtwidrig handelte.
Verschulden: Die Geschäftsstellenbedienstete handelte auch fahrlässig (§ 276 I 2 BGB) und damit schuldhaft. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Insoweit ist der Sorgfaltsmaßstab im Rahmen des § 839 BGB objektiviert (Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearb. 2013, § 839 Rn. 198). Darauf, ob der zuständigen Geschäftsstellenbediensteten im vorliegenden Fall persönlich ein Vorwurf zu machen ist, kommt es daher nicht an. Unter Berücksichtigung dieses objektivierten Maßstabs war es fahrlässig, die Terminsaufhebung nicht vorab telefonisch oder per Telefax anzukündigen, da die zuständige Geschäftsstellenbedienstete unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen durfte, dass eine rechtzeitige postalische Benachrichtigung der Prozessbevollmächtigten des Kl. von der Terminsaufhebung gesichert war.
Ausschlusstatbestände: Der Bekl. kann sich auch nicht auf eine andere Ersatzmöglichkeit iSv § 839 I 2 BGB berufen. Denn bei einem Obsiegen des Kl. im Ausgangsverfahren wäre Ersatzpflichtiger der notwendigen Kosten wiederum der Bekl. Insoweit gilt der Grundsatz der „vermögensrechtlichen Einheit der öffentlichen Hand“ (Staudinger/Wöstmann, Neubearb. 2014, § 839 Rn. 277 ff.).
Schaden: Die Berechtigung auf Erstattung der Kosten der Höhe nach werden von dem Bekl. nicht in Abrede gestellt. Sie sind unstreitig. Der Kl. muss sich auch kein Mitverschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, weil sie nicht vor Reiseantritt nachfragten, ob der Termin Bestand hat. Eine Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigte dürfen sich darauf verlassen, dass sie amtspflichtgemäß rechtzeitig von einer Terminsaufhebung bzw. -verlegung benachrichtigt werden. Sie sind daher grundsätzlich nicht gehalten, vor Anreise nachzufragen, ob der Termin stattfindet. Dafür, dass vorliegend ausnahmsweise die Prozessbevollmächtigten des Bekl. gehalten waren, nachzufragen, sind keine Anhaltspunkte dargetan und ersichtlich. Die Berufung hat keinen Erfolg, soweit der Kl. aus abgetretenem Recht Verdienstausfall seiner Prozessbevollmächtigten iHv 1760 Euro geltend macht. Der Kl. vermochte nicht darzulegen, geschweige denn nachzuweisen, dass seinen Prozessbevollmächtigten durch die verspätete Mitteilung der Terminsaufhebung ein Schaden erstanden ist. a) Bei der Frage nach dem Umfang des verursachten und daher zu ersetzenden Schadens ist die tatsächliche Lage infolge der Amtspflichtverletzung mit der Lage zu vergleichen, die vorhanden wäre, wenn die unerlaubte Handlung nicht vorläge, sondern der Beamte amtspflichtgemäß gehandelt hätte; nur soweit die Vermögenslage des Geschädigten bei pflichtgemäßem Verhalten günstiger als die tatsächliche wäre, ist der Schaden durch die Amtspflichtverletzung verursacht und zu ersetzen (Staudinger/Wöstmann, Neubearb. 2014, § 839 Rn. 243 mwN). Dies bedeutet, dass die Vermögenslage der Prozessbevollmächtigten des Kl., wie sie sich aufgrund der unnötigen Anreise darstellt, mit derjenigen zu vergleichen ist, wenn die Geschäftsstellenbedienstete die Prozessbevollmächtigten des Kl. bereits am 4.4.2016 auf die Terminsaufhebung hingewiesen hätte. b) Der Schaden ist grundsätzlich konkret zu berechnen. Maßgebend ist die tatsächlich eingetretene Vermögensminderung (Palandt/Grüneberg, vor § 249 Rn. 21). Danach ist vom Kl. darzulegen, wie sich die Vermögensverhältnisse seiner Prozessbevollmächtigten entwickelt hätten, wenn sie rechtzeitig von der Aufhebung des Termins erfahren hätten. Dazu fehlt es an einem Vortrag. Insbesondere behauptet der Kl. selbst nicht, dass für diesen Fall seine Prozessbevollmächtigten neue Mandanten aquiriert hätten. Vielmehr ist naheliegend, dass in diesem Falle seine Prozessbevollmächtigten angefallene Arbeiten nach vorne gezogen hätten. Hierdurch ändert sich aber ihre Vermögenslage nicht. c) Allerdings ist bei der Geltendmachung entgangenen Gewinns nach § 252 S. 2 BGB eine abstrakte Schadensberechnung grundsätzlich möglich (Palandt/Grüneberg, § 252 Rn. 6). Bei einem Gewerbetreibenden oder – wie hier – Freiberufler besteht der Schaden indes in der konkret festzustellenden Gewinnminderung. Da der zu ersetzende Schaden nicht im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher liegt, setzt dieses voraus, dass sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis ausgewirkt hat (BGH, NJW-RR 2016, 793 Rn. 17; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 1112 [1117]; Palandt/Grüneberg, § 252 Rn. 14). Insoweit reicht der Vortrag des Kl., seine Prozessbevollmächtigten würden täglich elfeinhalb Stunden arbeiten und in der Regel zu einer vereinbarten Vergütung von 220 Euro/Stunde, nicht aus, worauf der Bekl. den Kl. mehrfach hingewiesen hat. Es ist zu berücksichtigen, dass freiberufliche Anwälte, die gerichtlich tätig sind, durchaus mit kurzfristigen Aufhebungen von Gerichtsterminen rechnen müssen und genötigt sind, ihre Arbeit umzuplanen. Dies ist in der Regel unproblematisch möglich. Tatsachen dafür, dass durch die unnötige Anreise eine tatsächliche Gewinnminderung bei den Prozessbevollmächtigten des Kl. eingetreten ist, sind nicht dargelegt.
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Leitsätze |
Zur Geltendmachung von Aufwendungen bei amtspflichtwidrig nicht rechtzeitiger Mitteilung einer Terminsaufhebung im Wege der Amtshaftungsklage |