OLG Frankfurt a. M. (1. Zivilsenat), Urteil vom 17.05.2018 - 1 U 171/16 |
Sachverhalt |
Die Kläger begehren von der beklagten Stadt im Wege der Amtshaftung Ersatz von Betreuungs- und Verpflegungskosten wegen behaupteter unterbliebener Bereitstellung eines Betreuungsplatzes für ihren am XX.XX.2012 geborenen Sohn. Der Sohn der Kläger wurde bis Ende Mai 2015 in einer Kinderkrippe betreut. Da die Kläger beabsichtigten, ihren Sohn ab Juni 2015 in einer Kindertagesstätte mit einem ganztägigen Betreuungsplatz unterzubringen, meldeten sie im Juli 2014 ihren Bedarf für eine Ganztagsbetreuung bei der Beklagten an. Nachdem der Platz für den Sohn der Kläger in der privaten Kinderkrippe bis Ende August 2015 verlängert worden war, meldeten die Kläger das Kind in der privaten X-Kindertagesstätte mit Wirkung zum 1. August 2015 für die Dauer eines Jahres an. Mit der Behauptung, die Beklagte habe ihnen den gewünschten Ganztagesplatz nicht angeboten, haben die Kläger von der Beklagten die Erstattung der Aufnahmegebühr und der in der privaten X-Kindertagesstätte angefallenen Betreuungs- und Verpflegungskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. |
Entscheidungsgründe |
Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten, die ihnen für den selbst beschafften Betreuungsplatz im Vergleich zu den in einer städtischen Einrichtung anfallenden Kosten entstanden sind. Mehrkosten, die Eltern dadurch entstehen, dass sie den Betreuungsbedarf ihres Kindes in einer gegenüber einer öffentlichen Einrichtung teureren, privaten Einrichtung decken, sind, soweit es sich nicht um unzumutbare Belastungen handelt, kein Schaden. Eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art 34 GG liegt jedenfalls nicht darin, dass die Beklagte einen Anspruch der Kläger nicht erfüllt hätte. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Beklagten den Klägern angebotenen Kindergartenplätze dem an die Beklagte herangetragenen Betreuungsbedarf der Kläger entsprachen. Denn anders als § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII vermittelt § 24 Abs. 3 S. 2 SGB VIII keinen Rechtsanspruch. Die Kläger hatten deshalb keinen Anspruch auf Nachweis eines Ganztagsplatzes in einer Tageseinrichtung. Während nach § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII ein Kind, das das 1. Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege hat und nach § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII ein Kind, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung hat, sieht Abs. 3 S. 2 nur vor, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken haben, dass für die Altersgruppe ab dem vollendeten 3. Lebensjahr ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Aus dem Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII erwächst für den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Amtspflicht, im Rahmen seiner die Planungsverantwortung umfassenden Gesamtverantwortung sicherzustellen, dass für jedes anspruchsberechtigte Kind, für das ein entsprechender Bedarf rechtzeitig angemeldet worden ist, ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Verletzt der Jugendhilfeträger diese Pflicht, so liegt darin zugleich eine Amtspflichtverletzung (Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichem Ersatzleistungen, in: NJW 2017, 2509, 2513). Im Unterschied zu dem in § 24 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 SGB VIII verliehenen subjektiven Recht auf frühkindliche Förderung begründet § 24 Abs. 3 S. 2 SGB VIII lediglich objektiv-rechtliche Pflichten (vgl. BVerwG, U. v. 26.10.2017, Az. 5 C 19.16, Rn. 26, juris). Dadurch wird kein individueller Rechtsanspruch auf Bereitstellung eines Ganztagsplatzes begründet, sondern lediglich eine Rechtspflicht objektiver Natur (BVerwG, U. v. 14.11.2002, Az. 5 C 57/01, Rn. 21, juris). Daraus folgt zugleich, dass die bestehende objektiv-rechtliche Vorhalteverpflichtung an Ganztagsplätzen keinen Anspruch des einzelnen auf Zuweisung eines Ganztagsplatzes gewährt und deshalb auch kein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Zuweisung besteht. Eine Nichtberücksichtigung des Sohnes der Kläger bei der Vergabe von Ganztagsbetreuungsplätzen stellt auch weder einen zum Schadensersatz verpflichtenden Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung dar, noch könnte die Verletzung einer etwaigen Pflicht der Beklagten, die begrenzten Plätze in einem nachvollziehbaren Verfahren anhand begründeter Entscheidungen zu verteilen, einen Anspruch auf Ersatz der den Klägern entstandenen Mehrkosten begründen . Dadurch, dass die Kläger ihren Sohn in einer anderen Einrichtung untergebracht haben, haben sie ihren Betreuungsbedarf selbst gedeckt. Dass ihnen dadurch höhere Kosten als bei Zuweisung eines Platzes in einem städtischen Kindergarten entstanden sind, ist unerheblich. Denn schon der Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII gibt den Eltern kein kapazitätsunabhängiges Wahlrecht zwischen der Förderung ihres Kindes in einer - günstigeren - Einrichtung in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft oder in einer anderen, teureren Einrichtung. Dies gilt erst recht bei der Zuweisung von Ganztagsbetreuungsplätzen in Kindertagesstätten, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dem Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII ausgesprochen, dass das Wahlrecht des Leistungsberechtigten nach § 5 Abs. 1 S. 1 SGB VIII nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten besteht und dann, wenn es an diesen fehlt, sich der Anspruchsberechtigte auch auf die Förderung in jeweils anderer Trägerschaft verweisen lassen muss. Auch ist für die Erfüllung des Anspruchs auf Nachweis die Höhe eines Teilnahmebeitrags ohne Bedeutung. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII liefern keine Anhaltspunkte dafür, dass nur solche Plätze nachgewiesen werden dürfen, für die ein in der Höhe begrenzter Teilnahmebeitrag zu leisten ist (Bundesverwaltungsgericht, a.a.O., Rn. 44 F.). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist insbesondere nicht zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung gehalten, einem Kind einen Platz in einer Einrichtung in öffentlicher Trägerschaft nachzuweisen, weil für die Nutzung dieser Einrichtungen geringere Beiträge erhoben werden als in Einrichtungen privater Träger. Etwa unzumutbare Belastungen sind dann nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII geltend zu machen (BVerwG, U. v. 26.10.2017, Az. 5 C 19.16, Rn. 40 ff., juris). Schon bei der Erfüllung des Rechtsanspruchs gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII ist es somit nicht gleichheitswidrig, dass durch die Zuweisung eines Betreuungsplatzes eines bestimmten Trägers im Vergleich zu einem anderen Träger höhere Kosten anfallen. Ein Anspruch auf Erstattung der Differenz besteht nicht allein deshalb, weil bei anderen Einrichtungen die von Eltern zu zahlenden Beiträge geringer sind. Dementsprechend besteht auch nicht ohne weiteres ein Ersatzanspruch für Mehrkosten, die Eltern dadurch entstehen, dass sie eine private Einrichtung wählen, um einen infolge vermeintlich unzulänglicher Verteilungsverfahren drohenden Betreuungsausfall zu vermeiden. Maßgebend ist allein, ob eine unzumutbare finanzielle Belastung eintritt. Dass für die Kläger eine in diesem Sinne unzumutbare finanzielle Belastung eingetreten wäre, haben sie auf den Hinweis des Senats vom 7. Dezember 2017 nicht geltend gemacht. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob für die von den Klägern gewählte Kindertagesstätte die Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 SGB VIII vorliegen.
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Leitsätze |
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