OLG Frankfurt a. M. (15. Zivilsenat), Urteil vom 07.12.2018 - 15 U 181/17 |
Sachverhalt |
Der Kläger begehrt Schadensersatz vom Beklagten aufgrund einer vermeintlichen Amtspflichtverletzung wegen überhöhter Telefonkosten für Telefonate aus der JVA Stadt1 für die Zeit von Mai 2013 bis einschließlich November 2015. Der Kläger war in dieser Zeit in Sicherungsverwahrung in der JVA Stadt1 untergebracht, und ist auch derzeit noch. Für das Führen von Telefonaten über das eingerichtete Gefangenen-Telekommunikationssystem mit Sicherheits- und Kontrollfunktion hat der Kläger in dem Zeitraum von Mai 2013 bis einschließlich November 2015 Kosten von insgesamt 880,- € zahlen müssen. Grundlage hierfür war ein Vertrag zwischen der JVA Stadt1 und der Firma A GmbH vom 04. Dezember 2017 mit Ergänzungsvereinbarung vom 15.April 2008, mit der ein Vertragszeitraum von 15 Jahre vereinbart wurde. Hierbei bestand bis Ende November 2015 folgende Vertragsstruktur: Der Preis pro Minute betrug für ein Ortsgespräch 0,10 €, für ein Ferngespräch 0,20 €, für ein Mobilfunkgespräch 0,70 €, sowie für Auslandsgespräche je nach Tarifregion 0,60/0,90/1,40 €. Seit dem 01. Dezember gilt eine neue, für den hier maßgeblichen Zeitraum allerdings nicht relevante Preisstruktur wie folgt: Der Preis pro Minute für ein Ortsgespräch beträgt für die erste Minute 0,10 € und sodann 0,05 €, für ein Ferngespräch für die erste Minute 0,30 € und sodann 0,15 €, für ein Mobilfunkgespräch für die erste Minute 0,50 € und sodann 0,25 €, sowie für ein Auslandsgespräch je nach Tarifregion für die erste Minute 0,38/0,58/1,18 € und sodann 0,19/0,29/0,59 €. Mit Schreiben vom 01. Dezember 2015 beantragte der Kläger gegenüber der JVA die Rückerstattung von ¾ der bezahlten Telefongebühren in Höhe von 880,- € für den betreffenden Zeitraum, mithin 660,- €, was von der JVA abgelehnt wurde. Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die berechneten Tarife seien im Zeitraum Mai 2013 bis Februar 2015 um ¾ überhöht gewesen im Vergleich zu den marktüblichen Preisen für Telefonate. Das Land Hessen sei verpflichtet gewesen, dem Kläger Telefonate zu marktüblichen Preisen zur Verfügung zu stellen. Hierzu wurde ein Sachverständigengutachten des Sachverständige B vom 04.04.2014 vorgelegt, welches bei einer identischen Tarifstruktur der Firma A GmbH von dem Landgericht Stendal für die JVA Burg in einem Strafvollstreckungsverfahren eingeholt wurde, und welches als Grundlage für die Höhe der zurückverlangten Forderung herangezogen werden könne.
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Entscheidungsgründe |
Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 1 BGB infolge der Zahlung der überhöhten Telefonkosten für den Zeitraum von Mai 2013 bis einschließlich November 2015 gegenüber dem Beklagten zu.
Das Landgericht hat zu Recht eine rechtswidrige und schuldhafte Amtspflichtverletzung angenommen, weil dem Kläger im betreffenden Zeitraum von Mai 2013 bis einschließlich November 2015 nur Telefondienstleistungen seitens des Beklagten zur Verfügung gestellt wurden, welche deutlich über den marktüblichen Preisen lagen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es die Fürsorgepflicht der Justizvollzugsanstalt gebietet, die finanziellen Interessen der Gefangenen zu wahren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2001 - 5 Ws 112/01 Vollz -, juris, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 1 Ws 427/14 (StrVollz) -, juris, Rn. 6; OLG Naumburg, Beschlüsse vom 26. Juni 2015 - 1 Ws (RB) 20/15 -, juris, Rn. 20, und vom 22. April 2016 - 1 Ws (RB) 123/15 -, juris, Rn. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 -, juris, Rn. 17). Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Missachtung wirtschaftlicher Interessen der Gefangenen mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot unvereinbar wäre (vgl. BVerfGE 98, 169 <203>; BVerfGK 17, 415 <417>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. November 2015 - 2 BvR 2002/13 -, juris, Rn. 1). Zur Begründung dafür, dass den Gefangenen Telekommunikationsdienstleistungen nicht entgeltfrei eingeräumt werden müssen, hat die Rechtsprechung den Grundsatz herangezogen, dass die Verhältnisse im Strafvollzug so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden sollen (vgl. § 3 Abs. 1 StVollzG, siehe nur BVerfGK 17, 415 <417 f.> m.w.N.). Es versteht sich, dass dieser Grundsatz, mit dem der Gesetzgeber dem Resozialisierungsgebot Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 45, 187 <239>), nicht die Belastung Gefangener mit Entgelten rechtfertigen kann, die, ohne dass verteuernde Bedingungen und Erfordernisse des Strafvollzugs dies notwendig machten, deutlich über den außerhalb des Vollzuges üblichen liegen (BVerfGK 17, 415 <418>). Auch mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es gebietet, Strafe nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel zu vollziehen (vgl. BVerfGE 116, 69 <85> m.w.N.), wäre dies nicht vereinbar (BVerfGK 17, 415 <418> m.w.N. zur fachgerichtlichen Rechtsprechung, ebenso LG Stendal, Beschluss vom 30. Dezember 2014 - 509 StVK 179/13 -, juris, Rn. 88; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juni 2015 - 1 Ws (RB) 20/15 -, juris, Rn. 20; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 17). Aus diesen rechtlichen Vorgaben und Bindungen kann sich die Anstalt nicht nach Belieben lösen, indem sie für die Erbringung von Leistungen Dritte einschaltet, die im Verhältnis zum Gefangenen einer entsprechenden Bindung nicht unterliegen (vgl. BVerfGK 13, 137 <140 ff.>; 17, 415 <418>). Jedenfalls für Konstellationen, in denen die Anstalt im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen lässt, auf den die Gefangenen ohne eine am Markt frei wählbare Alternative angewiesen sind, ist dementsprechend anerkannt, dass die Anstalt sicherstellen muss, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt (BVerfGK 17, 415 <418 f.> m.w.N.). Für die Beurteilung, ob die Preise des privaten Anbieters noch marktgerecht sind, ist eine Vertragsbindung der Anstalt an den Anbieter nicht maßgeblich. Auch erfolglose Bemühungen um Tarifanpassungen im Vertragsverhältnis zu dem Anbieter entbinden die Justizvollzugsanstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen, denen ein alternatives Angebot nicht zur Verfügung steht. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass die Gefangenen eine nicht marktgerechte Preisgestaltung hinzunehmen hätten. Eine lange Vertragsdauer mit dem Anbieter, mag diese auch durchaus vollzugstypisch sein, darf sich nicht in der Weise auswirken, dass Preisentwicklungen auf dem Markt längerfristig ohne jeden Einfluss auf die von Gefangenen zu zahlenden Entgelte bleiben (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08. November 2017 - 2 BvR 2221/16 -, Rn. 19 - 22, juris; OLG Zweibrücken, Beschlüsse vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 20, - 1 Ws 291/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 26). Nach der neusten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes im Kammerbeschluss vom 08. November 2017 - 2 BvR 2221/16 kommt es somit vorliegend nicht darauf an, welche Preise bei Abschluss der betreffenden Vereinbarung im Jahr 2007/2008 marktüblich waren bzw. welche Preisentwicklung möglicherweise zu dieser Zeit absehbar gewesen war, denn eine etwaige Vertragsbindung der Anstalt ist nicht maßgeblich. Entscheidend ist auch nicht die damalige Sicht zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages und des Eingehens der Vertragsbindung, sondern für die Frage einer Pflichtverletzung ist nur von Bedeutung, ob im maßgeblichen Zeitraum die tatsächlich gezahlten Preis die marktüblichen Preise deutlich überschritten hatten; und für die Höhe des Schadensersatzanspruches in welchem Umfang. Im Ergebnis ist damit eine Pflichtverletzung des Beklagten gegeben, weil dieser nunmehr mit Schriftsatz vom 26.02.2018 selbst einräumt, dass die Preise der Firma A GmbH für den betreffenden Zeitraum den marktüblichen und damit den marktgerechten Betrag um 220,- € überschreiten, nämlich um 25%. Seitens des Beklagten wird im Berufungsverfahren nicht mehr bestritten, dass die Telefontarife, die seitens der Firma A dem Kläger zur Verfügung gestellt wurden, in dem Zeitraum von März 2013 bis 01.12.2015 überhöht waren im Verhältnis zu marktüblichen Tarifen. Nur dies ist für die Beurteilung einer Pflichtverletzung von Bedeutung. Auf die Sichtweise der JVA Stadt1 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages und die Frage, ob eine Laufzeit von 15 Jahren hätte vereinbart werden dürfen, kommt es für die Haftung nicht an. Der Beklagte durfte nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes jedenfalls etwaig vereinbarte, überhöhte Preise nicht an den Kläger weiterreichen. Als marktgerecht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann dann nach Ansicht des Senates ein Preis nicht mehr angesehen werden, wenn er den marktüblichen Preis deutlich übersteigt. Der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bedurfte es zu der Frage der Überschreitung des marktüblichen Tarifes dem Grunde nach aufgrund des insoweit übereinstimmenden Vorbringens der Parteien von vornherein nicht. Dem Grunde nach ist damit jedenfalls eine Haftung der Beklagten infolge einer schuldhaften Pflichtverletzung gegeben. Der Anspruch des Klägers auf Schadensersatz infolge einer Amtspflichtverletzung des Beklagten ist nicht nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte fahrlässig oder vorsätzlich unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel sind dabei alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die der Betroffene gegen das schädigende Verhalten des Amtsträgers ergreifen konnte. Sie müssen darauf abzielen und geeignet sein, das schädigende Verhalten des Amtsträgers zu beseitigen oder zu berichtigen und dadurch die Entstehung eines Schadens zu verhindern oder abzumildern (vgl. BGH, Urteile vom 20. Februar 2003 - III ZR 224/01, NJW 2003, 1308, 1312, insoweit in BGHZ 154, 54 nicht abgedruckt, und vom 8. Januar 2004 - III ZR 39/03, NJW-RR 2004, 706, 707; siehe auch Staudinger/Wöstmann, BGB, Auflage 2013, Rn. 337 f mwN). Hierzu gehören auch Anträge des Inhaftierten an den Anstaltsleiter im Rahmen des § 108 Abs. 1 StVollzG. Am Verschulden fehlt es aber dann, wenn die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels so gering oder so zweifelhaft ist, dass dem Verletzten dessen Gebrauch nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 aaO S. 1313; Beschluss vom 29. Januar 2009 - III ZR 182/08, juris Rn. 2; Urteil vom 11. März 2010 - III ZR 124/09, NJW-RR 2010, 1465 Rn. 16; siehe auch Staudinger/Wöstmann aaO Rn. 347 mwN). Ob dies der Fall ist, obliegt der Bewertung des Tatrichters, die zweitinstanzlich nur eingeschränkt darauf überprüfbar ist, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 aaO Rn. 3, 5; Urteil vom 11. März 2010 aaO; BGH, Urteil vom 04. Juli 2013 - III ZR 342/12 -, BGHZ 198, 1-14, Rn. 18 - 21). Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren lässt die Entscheidung des Landgerichtes etwaige nach diesem Prüfungsmaßstab bedeutsame Rechtsfehler nicht erkennen. Die Feststellung des Landgerichtes, dass es naheliegt, dass der Kläger erst im Zusammenhang mit der zum 01. Dezember 2015 erfolgten Preissenkung und der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Marburg vom 06. März 2015 (Az.: …) von der Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Preisstruktur erfahren hat, ist nicht zu beanstanden. Es steht weder fest noch ergibt sich dies hinreichend deutlich aus dem Vorbringen des Beklagten, dass der Kläger von der Rechtswidrigkeit der Preisstruktur bereits vor dem Jahr 2015 Kenntnis erhalten hatte. Daran ändert nichts, dass er möglicherweise schon im Mai 2013 die Vermutung hatte, dass die Preise überhöht sein könnten. Eine hinreichende Gewissheit hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Antrages nach dem StVollzG wird nicht bestanden haben, so dass eine Einlegung eines derartigen Rechtsbehelfes jedenfalls nicht zumutbar war. Im Übrigen fehlt es - wie das Landgericht richtigerweise festgestellt hat - an der Kausalität zwischen angebliche versäumter Rechtsbehelfseinlegung und dem Eintritt des Schadens, weil nicht davon auszugehen ist, dass bei einer Antragstellung des Klägers im Mai 2013 rechtzeitig eine rechtskräftige Entscheidung vor Ablauf des hier maßgeblichen Zeitraumes ergangen wäre, wobei darüber hinaus auch zweifelhaft wäre, ob die Anstalt dann aufgrund der einzelnen Rüge der Strafvollstreckungskammer die Preise für den Kläger tatsächlich auch rechtzeitig angepasst hätte. Zutreffend hat das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast dahingehend bewertet, dass es dem Beklagten obliegt, darzutun und gegebenenfalls nachzuweisen, dass durch die Einlegung von Rechtsbehelfen der Schaden tatsächlich hätte verhindert oder verringert werden können. Dies ist dem Beklagten nicht gelungen.
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Leitsätze |
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