OLG Hamm (11. Zivilsenat), Urteil vom 08.12.2017 - 11 U 104/16 |
Sachverhalt |
Der Kläger verlangt Schadensersatz aufgrund eines Bescheides des Justizprüfungsamtes beim Oberlandesgericht Hamm vom 07.09.2007, mit welchem seine staatliche Pflichtfachprüfung (erstes juristisches Staatsexamen) aufgrund der Bewertung von 4 Aufsichtsarbeiten mit „mangelhaft“ für nicht bestanden erklärt wurde, nachdem das OVG Münster mit Urteil vom 18.04.2012 zum Az. 14 A 2687/09 die bei den beiden Klausuren im öffentlichen Recht angewendeten Prüfungsmaßstäbe beanstandet und somit die Rechtswidrigkeit des Bescheides festgestellt hatte.
|
Entscheidungsgründe |
Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht wegen der Prüfungsentscheidung das JPA beim OLG Hamm vom 07.09.2007 kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land gemäß §§ 839 Abs. 1 S. 1, 252 BGB i.V.m. Art. 34 GG, der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, zu. 1. Zwar fällt dem beklagten Land eine schuldhafte Amtspflichtverletzung zur Last, weil bei beiden öffentlich-rechtlichen Klausuren des Klägers fehlerhafte Bewertungsmaßstäbe angelegt wurden und somit gegen das Gebot zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln verstoßen wurde. Daher war es fehlerhaft, bei der Bewertung der Klausur öR I von einem fehlerhaften Aufbau der Prüfung der Ersatzvornahme auszugehen, weil die Frage der Entbehrlichkeit der Androhung nicht schon in der formellen Rechtmäßigkeitsprüfung vorgenommen wurde, sondern erst bei der materiellen Prüfung. Bei der Klausur öR II war es nicht zulässig, die Prüfung einer Geschäftsführung ohne Auftrag für unvertretbar zu halten. Darüber hinaus war es fehlerhaft, im Rahmen des Überdenkungsverfahrens eine gemeinsame Stellungnahme beider Prüfer zu verlangen, statt eigenständige Stellungnahmen jedes der beiden Prüfer. 2. Die Amtspflichtverletzungen geschahen auch fahrlässig und daher schuldhaft. Hinsichtlich der Klausurbewertung muss sich das Land das Verschulden der von ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben herangezogenen Prüfer zurechnen lassen. 3. Jedoch kann, wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, nicht festgestellt werden, dass die fehlerhafte Bewertung der beiden Klausuren den geltend gemachten Schaden verursacht hat. Denn der Kläger vermag nicht den ihm obliegenden Nachweis zu führen, dass sich bei einem pflichtgemäßen Handeln auf Seiten der Prüfer und des JPA die Dinge anders als bei dem tatsächlichen Verlauf entwickelt hätten und sich seine Vermögenslage dadurch günstiger darstellen würde. a) Ungeachtet der Bewertungsfehler bei den beiden öffentlich-rechtlichen Klausuren des Klägers steht nicht zugleich fest, dass bei Anwendung zutreffender Bewertungsmaßstäbe die Klausuren besser und dabei mindestens mit der Note „ausreichend (4 Punkte)“ hätten bewertet werden müssen. Die Bewertung einer Prüfungsleistung liegt im sachgerecht auszuübenden Ermessen der Prüfer und erfordert regelmäßig nicht die Vergabe einer bestimmten Note. Vielmehr verbleibt den Prüfern ein Beurteilungsspielraum, in welchem Maße sie Vorzüge und Schwächen einer Prüfungsleistung gewichten, sofern sie dabei vertretbare Beurteilungsmaßstäbe anlegen. Daher bestand im vorliegenden Fall keine Verpflichtung zur Bewertung beider oder zumindest einer der öffentlich-rechtlichen Klausuren des Klägers mit der Note „ausreichend“. Eine solche Verpflichtung ergibt sich zum einen nicht aus dem Urteil des OVG Münster vom 18.04.2012 zum Az. 14 A 2687/09 und der Entscheidung des BVerwG vom 09.10.2012 im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde (Az. BVerwG 6 B 39.12). Soweit darin die Rechtswidrigkeit des Prüfungsbescheides vom 07.09.2007 festgestellt wurde, nachdem der Kläger zwischenzeitlich beide juristischen Staatsexamina bestanden hatte, haben die Verwaltungsgerichte nicht zugleich festgestellt, dass die Klausuren in bestimmter Weise zu benoten gewesen wären. Vielmehr ist anzunehmen, dass im Falle einer streitigen Entscheidung die Verpflichtung des JPA ausgesprochen worden wäre, den Kläger nach erneuter Bewertung der Klausuren erneut zu bescheiden, ohne dass dabei eine Bescheidung aufgrund gleichlautender Benotungen der Klausuren ausgeschlossen worden wäre. Vielmehr hat bereits das OVG Münster in seinem Urteil vom 18.04.2012 erhebliche Zweifel daran geäußert hat, dass der Kläger bei fehlerfreier Bewertung der Klausuren den Freiversuch bestanden hätte, zumal die berechtigten Rügen gegen die Bewertung der Klausuren keineswegs zentrale Mängel der Prüfungsleistung betrafen. Eine Verpflichtung zur Bewertung einer oder beider Klausuren mit der Note „ausreichend“ ergibt sich des Weiteren auch nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Q. Hinsichtlich der Klausur öR II hat dieser vielmehr bestätigt, dass die Bearbeitung des Klägers an gravierenden Mängeln litt, die auch ihn veranlasst hätten, die Klausur bei Anwendung zutreffender Bewertungsmaßstäbe mit „mangelhaft (2 Punkten)“ zu bewerten. Der Sachverständige ist insofern zutreffend davon ausgegangen, dass es vertretbar war, dass der Kläger bei seiner Prüfung eine Geschäftsführung ohne Auftrag als Anspruchsgrundlage heranzog, jedoch waren die Prüfungsansätze des Klägers nicht überzeugend und lagen seine Argumentationen weit hinter den Anforderungen zurück. Hinsichtlich der Klausur öR I kommt der Sachverständige zwar zu dem Ergebnis, dass die Klausur seiner Ansicht nach mit „ausreichend (4 Punkten)“ zu bewerten gewesen wäre, weil der nach seiner Ansicht stärker zu gewichtende erste Teil der Bearbeitung noch durchschnittlich den Anforderungen genüge und nur der weniger gewichtige zweite Teil nicht mehr als brauchbar anzusehen sei. Indes hat auch der Sachverständige Prof. Dr. Q ausdrücklich nicht ausgeschlossen, dass eine Bewertung der Prüfungsleistung mit „mangelhaft (3 Punkten)“ vertretbar und zulässig gewesen wäre. Letztlich hat er es als Spekulation und als eine Frage des Wohlwollens der Prüfer angesehen, ob bei Meidung der im Jahre 2007 aufgetretenen Bewertungsfehler die Klausur mit „mangelhaft“ oder mit „ausreichend“ zu bewerten gewesen sei. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Sachverständige Prof. Dr. Q äußerte, dass er die Klausur an einem guten Tag möglicherweise auch mit „ausreichend (5 Punkten)“ bewertet hätte, denn dies erweitert den Spielraum für eine vertretbare Bewertung der Klausur lediglich auf den Bereich von 3 bis 5 Punkten. Ein Widerspruch in den Einschätzungen des Sachverständigen ist somit nicht vorhanden, weshalb auch keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der landgerichtlichen Feststellungen i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehen. b) Die daher zumindest nicht auszuräumende Möglichkeit, dass auch bei sachgerechter Ermessensausübung bei der Bewertung der Prüfungsleistungen des Klägers keine Anhebung der Gesamtnote erfolgt und somit eine gleichlautende Bescheidung der Prüfungsleistung erfolgt wäre, wirkt sich zu Lasten des beweisbelasteten Klägers aus. Denn das über den Schadensersatzanspruch entscheidende Zivilgericht darf nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen. Vielmehr muss sich das Zivilgericht auf die Prüfung beschränken, ob die Behörde die angegriffene Entscheidung hätte treffen dürfen. Nur wenn feststeht, dass bei fehlerfreien Verhalten eine andere für den Kläger günstige Ermessensausübung vorgenommen worden wäre und damit der mit der Klage geltend gemachte Schaden bei fehlerfreier Ermessensausübung nicht eingetreten wäre, ist die Feststellung des Ursachenzusammenhangs möglich. Kann hingegen nicht ausgeschlossen werden, dass dasselbe Ergebnis auch bei fehlerfreier Ermessensausübung erzielt worden wäre, entfällt ein Schadensersatzanspruch (vgl. BGH, VersR 1982, S. 275; 1985, S. 887; Wöstmann in Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2013, Rdnr. 226/233 m. w. N.). Wie ausgeführt war eine Bewertung der beiden öffentlich-rechtlichen Klausuren des Klägers mit der Note „mangelhaft“ ohne Ermessensverstoß vertretbar. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall von denjenigen, welche den Entscheidungen des OLG Celle vom 18.09.2001 zum Az. 16 U 135/96 (veröffentlicht bei juris) und dem OLG München in seinem Urteil vom 17.08.2006 zum Az. 1 U 2960/05 (NJW 2007, S. 1005) zugrunde lagen. In den dort entschiedenen Fällen waren die Bewertungen der Prüfungsleistung der jeweiligen Kläger unvertretbar. Erst hierdurch entstand die Notwendigkeit, im Rahmen der Schadensbestimmung hypothetische Feststellungen über das Ergebnis einer rechtmäßig durchgeführten Prüfung zu treffen, ob die dortigen jeweiligen Kläger bei sachgerechter Benotung die Prüfung insgesamt bestanden hätten, weshalb hier Beweiserleichterungen eingriffen.
|
Leitsätze |
1. Bewertungsfehler bei Prüfungsleistungen begründen nur dann einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden infolge verspäteten Einstiegs in das Berufsleben, wenn bei Anwendung zutreffender Bewertungsmaßstäbe die Prüfungsleistung besser hätten bewertet werden müssen und die bessere Bewertung die Annahme rechtfertigt, dass die Prüfung eher bestanden worden wäre. 2. Die Bewertung einer Prüfungsleistung liegt im sachgerecht auszuübenden Ermessen der Prüfer und erfordert regelmäßig nicht die Vergabe einer bestimmten Note. Vielmehr verbleibt den Prüfern ein Beurteilungsspielraum, in welchem Maße sie Vorzüge und Schwächen einer Prüfungsleistung gewichten, sofern sie dabei vertretbare Beurteilungsmaßstäbe anlegen. |