Die offensichtlichen Mängel im System der Amtshaftung wurden durch die Korrekturen der Rechtsprechung nur zum Teil behoben. Durch die Entwicklung ergänzender Haftungsinstitute entstand ein mehrschichtiges und komplexes Staatshaftungsrecht, das sich aus sehr unterschiedlichen und nur unvollkommen aufeinander abgestimmten gesetzlichen, gewohnheitsrechtlichen und richterrechtlichen Rechtsinstituten zusammensetzt (Maurer, § 25, Rdnr. 1.). Aufgrund der Unübersichtlichkeit und Komplexität des Rechts der staatlichen Ersatzleistungen hat es immer wieder Anstöße gegeben, das Staatshaftungsrecht in einem einheitlichen Gesetz zu kodifizieren.
Als Ergebnis einer nahezu zwanzigjährigen Vorarbeit trat Anfang 1982 das Staatshaftungsgesetz des Bundes in Kraft. Dieses ersetzte die Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG durch eine unmittelbare, verschuldensunabhängige und ausschließliche Unrechtshaftung des Staates. Das Staatshaftungsgesetz wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 19.10.1982 wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 61, 149; vgl. hierzu Maurer, § 25 Rdnrn. 5 ff.; Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 751; Pfab, S. 21 ff.).
Mit Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 wurde deshalb dem Bund in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Staatshaftung eingeräumt; die Föderalismusreform I hat hieran nichts geändert. Der Bund könnte nunmehr ein umfassendes Staatshaftungsgesetz erlassen (Zur Gesetzgebungskompetenz für einzelgesetzliche Staatshaftungsregelungen am Beispiel des Atomrechts Gaßner/Kendiza, ZUR 2010, 456.).
Maßgeblicher Ansatz der Reformvorschläge ist die Schaffung einer originären und primären Haftung des Staates wegen hoheitlicher Verletzung drittgerichteter Rechtspflichten, die grundsätzlich verschuldensunabhängig sein soll und eine Eigenhaftung des Amtsträgers ausschließt ( Pfab, S. 155 m. w. N.; siehe zur Reformdiskussion auch Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 736 ff.; Maurer, § 25 Rdnrn. 4 ff.; Schullan, BayVBl. 1990, 360 ff.). Die Reformvorschläge sehen außerdem eine Vereinheitlichung und Harmonisierung des primären und sekundären Rechtsschutzes vor, da die gegenwärtige Aufspaltung der Rechtswege als nicht mehr vertretbar angesehen wird (siehe hierzu Pfab, S. 153 f. ).
Allerdings ist mit einer gesetzlichen Neuregelung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Eine vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene prognostische Studie zum finanziellen Mehrbedarf bei Bund, Ländern und Kommunen im Falle einer Reform des Staatshaftungsrechts hat gezeigt, dass die öffentlichen Haushalte mit einer beträchtlichen Mehrbelastung zu rechnen hätten, wenn die Restriktionen des derzeit geltenden Staatshaftungsrechts wegfallen würden (Infratest Burke Rechtsforschung, Zur Reform des Staatshaftungsrechts – Prognose, S. 40 f.). In Anbetracht der angespannten Haushaltslage kann damit eine baldige Reform kaum erwartet werden (Kritisch Kluth, F.A.Z. v. 17.11.2011, S. 8.). Auch der Hinweis in der Literatur, dass in der Vergangenheit die meisten staatshaftungsrechtlichen Ansprüche durch die Tätigkeit von Bahn und Post verursacht wurden, diese aber nach deren Privatisierung nicht mehr in den Bereich der Staatshaftung fallen, wird daran nichts ändern (Kluth, DVBl. 2004, 393, 403.).
Da in absehbarer Zeit nicht mit einer umfassenden Reform des Staatshaftungsrechts zu rechnen ist, hat sich die Justizministerkonferenz auf ihrer 79. Sitzung am 11. und 12.06.2008 zumindest für eine Bereinigung des Systems der Rechtswegzuweisungen ausgesprochen. Der Beschluss sieht ausgehend von dem Grundsatz, dass Streitigkeiten in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts den allgemeinen oder besonderen Verwaltungsgerichten und privatrechtliche Streitigkeiten den ordentlichen Gerichten zugewiesen werden sollten, vor, dass Streitigkeiten im Entschädigungsrecht (einschließlich solcher des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) sowie Streitigkeiten im Sinne des Art. 34 GG grundsätzlich derjenigen Gerichtsbarkeit zugewiesen werden, der auch die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der dem geltend gemachten Anspruch zugrunde liegenden Ausübung vollziehender Gewalt obliegt (Zum Ganzen Unterreitmeier, BayVBl 2009, 289.). Es soll zeitnah ein Gesetzentwurf zur Neuordnung der Rechtswegzuweisungen erarbeitet und in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts und die Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe haben diesen Beschluss auf ihrer Jahrestagung am 10.10.2008 sehr begrüßt.
Die Konzentration des Rechtsschutzes bei dem Gericht, das auch über den Primärrechtsschutz entscheidet, war bereits ein Kernelement der Staatshaftungsreform. Zum ganz überwiegenden Teil würde der Rechtsschutz dann durch die Gerichte der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit (Finanz- und Sozialgerichte) gewährt, was bedeuten würde, dass in einem einzigen Verfahren über sämtliche Rechtsschutzbegehren (primär Aufhebung des rechtswidrigen Hoheitsaktes, sekundär Gewährung von Schadensersatz) entschieden werden könnte. Dies würde vor allem für den Rechtsschutz suchenden Bürger zu entscheidenden Verbesserungen führen, da er dann nicht mehr nach Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erneut ein weiteres selbständiges Verfahren – vor einem anderen Gericht – einleiten müsste. Auch wegen der regelmäßig größeren Sachnähe der Verwaltungsgerichte wäre eine solche Regelung sehr sinnvoll. Kritisch wäre allein zu sehen, dass diese Lösung zu einer Zersplitterung des Staatshaftungsrechts aufgrund der Anwendung durch unterschiedliche Gerichtsbarkeiten (ordentliche Gerichte, Verwaltungsgerichte sowie Finanz- und Sozialgerichte) führen würde (Vgl. MüKo-Papier, § 839 BGB, Rdn. 388 zur Staatshaftungsreform.). Gleichwohl wäre es sehr wünschenswert, wenn dieser Reformansatz baldmöglichst verwirklicht würde.
Das Fehlen einer umfassenden Kodifikation der Staatshaftung in den alten Ländern der Bundesrepublik hat dazu beigetragen, dass das Staatshaftungsgesetz der DDR (StHG-DDR) aus dem Jahre 1969, das eine unmittelbare und verschuldensunabhängige Staatshaftung für schädigende Folgen hoheitlichen Handelns vorsah, gem. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages in modifizierter Form in den neuen Bundesländern als Landesrecht übernommen wurde (Vgl. allgemein zur Staatshaftung in den neuen Bundesländern Sachs, Art. 34, Rdn. 24 f.).
Das StHG-DDR sieht einen gegenüber der Amtshaftung erheblich erweiterten Haftungsrahmen vor und bedingt damit ein höheres Haftungsrisiko für Länder und Kommunen in den neuen Bundesländern. Dies gilt vor allem deshalb, weil immer wieder haftungsrelevante „Altlasten“ aus den Zeiten der ehemaligen DDR bekannt werden ( Vgl. etwa zur Haftung wegen der Zulassung gesundheitsschädlicher DDT-haltiger Holzschutzmittel durch die DDR-Behörden DER SPIEGEL Nr. 50/97, S. 208 ff.). Es gibt deshalb starke Tendenzen, die weitgehende Haftung nach dem StHG-DDR durch restriktive Auslegung und gesetzliche Modifizierungen zurückzudrängen. Brandenburg und Thüringen haben mittlerweile ein wesentliches Element des StHG-DDR, das spezielle Vorverfahren nach § 6 StHG-DDR, aufgehoben. Sachsen-Anhalt hat das StHG zunächst mit Gesetz vom 24. 8. 1992 grundlegend geändert und in der Folge durch das Gesetz zur Regelung von Entschädigungsansprüchen im Land Sachsen-Anhalt (Zuletzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Januar 1997.) vollständig ersetzt. Das Land Berlin hat das zunächst im Ostteil der Stadt geltende StHG-DDR mittlerweile durch Gesetz ganz aufgehoben. Auch in Sachsen gilt das StHG seit dem 01.05.1998 nicht mehr. Schließlich hat auch Mecklenburg-Vorpommern das StHG durch Gesetz vom 12.03.2009 aufgehoben (GVOBl. M-V 2009, 281.).
Das Europarecht wirkt in immer stärkerem Maße auf die nationalen Rechtsordnungen ein. Davon bleibt auch das deutsche Staatshaftungsrecht nicht „verschont“: Sowohl bei der Haftung für legislatives Unrecht als auch bei der Haftung für judikatives Unrecht sind erhebliche Veränderungen gegenüber dem herkömmlichen deutschen Haftungssystem zu verzeichnen; einen Abschluss hat diese Entwicklung noch lange nicht gefunden.
Nach der Rechtsprechung des BGH war bislang die Staatshaftung für eine Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers ausgeschlossen. Ein Amtshaftungsanspruch für legislatives Unterlassen nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG wurde verneint, da den Gesetzgeber diesbezüglich keine drittbezogenen Amtspflichten treffen. Eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff wurde mit der Begründung abgelehnt, es fehle der Judikative an der Kompetenz, in den Entscheidungsspielraum der Legislativorgane einzugreifen.
Mit der Francovich-Entscheidung aus dem Jahre 1991 (EuGH NJW 1992, 165 – Francovich.) hat der EuGH dagegen einer Haftung für legislatives Unterlassen auf europarechtlicher Grundlage den Weg geebnet und in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung (EuGH NJW 1996, 1267 – Brasserie du Pêcheur; EuGH EuZW 1996, 274 – British Telecommunications; EuGH EuZW 1996, 435 – Lomas; EuGH NJW 1996, 3141 – Dillenkofer; EuGH NJW 1997, 119, Tz. 51 f. - Denkavit.) einen eigenständigen, unmittelbaren unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch für legislatives Unrecht begründet (vgl. Ossenbühl, DVBl. 1992, 994; Huff, NJW 1996, 3190, 3191.).
Noch nicht absehbar sind darüber hinaus die Konsequenzen, die der Honeywell-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2010 bringen wird. Das Gericht hat darin festgestellt, dass der vom Grundgesetz gewährleistete Vertrauensschutz die Erwägung verlange, in Konstellationen der rückwirkenden Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union innerstaatlich eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat (BVerfG NJW 2010, 4322 (Ls. 2).). Bislang hat „der vom BVerfG geworfene Stein an den Ufern der Fachgerichte“ noch keine großen Wellen geschlagen (So die Formulierung von Karpenstein/Johann, NJW 2010, 3405.). Ohne eine weitreichende Rechtsfortbildung lässt sich ein solcher Entschädigungsanspruch aber dogmatisch nicht herleiten.
Anders als beim legislativen Unrecht ist die Staatshaftung für judikatives Unrecht zwar nicht schon von vornherein ausgeschlossen; Amtshaftungsansprüche scheitern aber in aller Regel am sog. Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 BGB, wonach der Staat – vermittelt über Art. 34 GG – nur dann für das Handeln seiner Richter haften muss, wenn der Richter bei der Urteilsfällung eine Straftat begangen hat – Fälle, die sich an einer Hand abzählen lassen.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich jedoch dieses Erfordernis jedenfalls für die unionsrechtliche Staatshaftung nicht mehr aufrechterhalten. Denn ihr zufolge besteht ein Amtshaftungsanspruch schon dann, wenn einem Gericht ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht vorgeworfen werden kann, (EuGH NJW 2003, 3539 – Köbler.) der jedenfalls dann vorliegt, wenn das Gericht offenkundig gegen das geltende Unionsrecht verstoßen hat (EuGH NJW 2003, 3539, 3541, Tz. 53 - Köbler.). Die Anforderungen liegen daher niedriger als nach herkömmlichem deutschen Staatshaftungsrecht, weil dort der Verstoß zugleich eine Straftat darstellen muss.